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Sprengel für alle!


In den 1980er Jahren herrschte in Hannover und vielen Städten massiver Wohnraummangel. Gleichzeitig gab es ehemalige Fabrikgelände im Stadtbereich und alte Häuser, die brach lagen und verfielen. Hausbesetzungen wurden zur politischen Aktionsform. In Hannover wurde 1983 die ehemalige Schokoladenfabrik Sprengel in der Nordstadt besetzt, doch bald darauf wieder geräumt. 1987 erfolgte eine zweite Besetzung. Das 16.000 Quadratmeter große Gelände war zu diesem Zeitpunkt total heruntergekommen, die Gebäude marode, die Fensterscheiben eingeworfen. Die Besetzer*innen richteten in Eigeninitiative alles so weit wieder her, dass sie dort leben konnten. Nach kurzer Zeit waren sie auf 50 Bewohner*innen angewachsen und richteten nicht nur das Wohnhaus, sondern auch Ateliers, Werkstätten und Kneipen ein.

Die Besetzer*innen erfuhren Sympathie und Unterstützung seitens der Bürger*innen und wollten offene Strukturen schaffen, in denen jeder Mensch willkommen war – eben ein Sprengel für alle. Doch die Auseinandersetzungen spitzten sich teils massiv zu, Sprengel wurde mit der Hafenstrasse in Hamburg verglichen und CDU-Politiker*innen kandidierten mit dem Versprechen der Räumung. Letztendlich war nach Verhandlungen und Auseinandersetzungen, die sich über Jahre hinzogen, durch Unterstützung aus dem Stadtteil eine Legalisierung für einen Teil der besetzten Gebäude durchsetzbar.

Das Projekt zieht Menschen mit unterschiedlichster Motivation an, von der Punkerin bis zum Autonomen. Man lebt individuell, aber nicht allein – und strebt eine andere Art des Zusammenlebens an, als in der konventionellen (Klein)familie üblich und möglich ist. Diese Utopie umzusetzen, stellt sich als schwierig dar, zumal es sich beim Großteil der Bewohner*innen um Männer handelt, die keine Probleme damit haben, sich nicht nur verbal zu engagieren, wenn es darum geht, externe Machtverhältnisse zu brechen und interne Machtverhältnisse aufzubauen. Anfangs einen die Konflikte mit Polizei, Stadt und Staat. Der gemeinsame Kampf jenseits gesellschaftlicher Schranken macht die Besetzer*innen untereinander solidarisch und bringt kreative Pläne und Aktionen hervor, von improvisierten Baumaßnahmen, um die Polizei fernzuhalten, bis hin zu Stadtteilrundfahrten mit einem laut dröhnenden Uralt-Bus. Jedoch ist auch das linke Spektrum nicht frei von Sexismus, Homophobie und Machtgehabe – daraus folgende, interne Auseinandersetzungen und Hierarchiekämpfe belasten das Projekt spürbar und machen es zeitweise partiell zur Dystopie.

Heute leben etwa 50 Menschen auf dem Sprengelgelände, zwei Drittel davon Frauen. 90 Prozent der Bewohner*innen sind berufstätig oder in Ausbildung. Von politischem Ausnahmezustand ist nicht mehr viel zu spüren, von linksalternativem Wohnprojekt hingegen schon. Sprengel hat eine gut funktionierende eigene Infrastruktur, von der Metallwerkstatt über die Sturmglocke, einer alternativen Kneipe/ Treffpunkt, bis hin zum Kino im Sprengel, das mit seinem Programm nicht nur Menschen aus der Nordstadt begeistert. Doch auch wenn Sprengel keine Keimzelle des politischen Aufstands mehr ist, wird hier nach wie vor eine andere Art des Zusammenlebens versucht und angestrebt – und deswegen kann man sicherlich nach wie vor von gelebter Utopie sprechen.


Quellenmaterialien:

- Stadtteilforum Nordstadt “SPRENGEL eine Chance für die Nordstadt” – Juli 1980

- SPD Ortsverein Nordstadt “Dokumentation – Das Sprengelgrundstück in der Nordstadt – politische und rechtliche Möglichkeiten einer Nutzung im Interesse der Bürger” – 1980

- “Sprengel die zarteste Versuchung seit es leerstehende Häuser gibt!” – Flugblatt der Nutzer*innen des Sprengelgeländes – 2te Jahreshälfte 1987

- Stellungnahme der “Arbeitsgruppe Ideen für die Nordstadt” – 16.07.1987

- Antrag der SPD-Fraktion im Bezirksrat zur zukünftigen Nutzung des Sprengelgeländes – 24.08.1987

- Kritik des Standpunktes der SPD aus dem Stadtteilforum – 2te Jahreshälfte 1987

- Sprengel – Information der Stadt Hannover zum Sprengelgelände – 02.12.1987

- Informationen zur Sanierung des Sprengelgeländes – Information und Forderungen des Stadtteilforums Nordstadt – Dezember 1987

- Sprengel eine Chance für Hannover – Stadtteilforum Nordstadt 1.3.1988

- Konzept der Nutzer*innen des Sprengelgeländes – 1988

- “Sprengel verteidigen” – Flugblatt der Nutzer*innen des Sprengelgeländes – 25.6.1988

- “Sprengel” – Flugblatt der Nutzer*innen zur Situation – August 1988

- “Die besetzten Häuser verteidigen” – Flugblatt der Nutzer*innen des Sprengelgeländes – September 1988

- “Milchdiebe” – Landtagsanfrage Jürgen Tritin – 21.10.1988


Zur Geschichte des Sprengelgeländes liegt eine Vielzahl an Materialien im Archiv der Bürgerschule (Schaufelderstr. / Klaus-Müller-Kilian-Weg 2). Wir haben aus Zeitgründen nur eine kleine Auswahl hier eingescannt aufbereitet.


Förder*innen unserer Projekte:

  • Stadt Hannover
  • Region Hannover
  • Bezirksrat Linden-Limmer
  • Nds. Ministerium für Wissenschaft und Kultur
  • Bundesministerium für Bildung und Forschung
  • Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
  • TUI-Stiftung
  • Heinrich-Böll-Stiftung
  • Klosterkammer Hannover
  • Lotto-Sport-Stiftung
  • JobCenter Region Hannover
  • Stiftung Sparda-Bank Hannover
  • Stiftung Niedersachsen
  • Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft
  • Nds. Landesamt f. Soziales, Jugend u. Familie
  • Stiftung niedersächsische Gedenkstätten
  • Amadeu Antonio Stiftung
  • Stiftung Edelhof
  • Linden-Limmer-Stiftung
  • Stadt Hannover, Sachgebiet Stiftungen, Geistliches Lehnregister
  • Fonds Soziokultur e.V.

Partner*innen unserer Projekte:

  • kargah
  • Wissenschaftsladen Hannover
  • IGS Linden
  • Quartier e. V.
  • Otto-Brenner-Akademie
  • Bürgerbüro Stadtentwicklung
  • Ingenieurgemeinschaft agwa
  • büro freiraum und umwelt
  • Lebendiges Linden
  • Geobasisinformation
  • IIK
  • Vietnam-Zentrum Hannover
  • MiSo-Netzwerk Hannover
  • DGB-Chor Hannover
  • Freizeitheim Linden
  • Arkadas
  • Günes
  • gEMiDe beim BTEU
  • Stadt Hannover
  • Niedersächsischer Verband deutscher Sinti e.V.
  • Afrikanischer Dachverband Nord
  • Goethe Institut München
  • Netzwerk Erinnerung und Zukunft
  • Leibniz Universität Hannover,
    Studiengang Darstellendes Spiel
  • LAG Soziokultur Niedersachsen
  • WG-gesucht.de